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Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde

Die 14. Auflage ist jetzt im Verlag Gesunde Entwicklung, dem Fachverlag für Salutogenese in Bad Gandersheim erschienen.

Inhaltsangabe

Wie hätte Huck Finn süchtig werden können? Er hat seine Träume ja ausgelebt! Andere Kinder und Jugendliche können das nicht. Eckhard Schiffer zeigt, wie Sucht entsteht und welche Möglichkeiten es gibt, ihr vorzubeugen.

Wenn Huckleberry Finn nicht süchtig wurde, dann deshalb, weil er sich das Recht und die Zeit nahm, seine Sehnsüchte und Träume auszuleben, meint Eckhard Schiffer und zeigt, dass viele Kinder und Jugendliche diese Möglichkeit nicht haben. Anhand von Krankengeschichten wird deutlich, wie Sucht entsteht, welches Ursachengeflecht sie auslösen kann und wie man ihr wirksam vorbeugen kann konkret und praktisch.

Bislang 16 Auflagen
Übersetzung ins Holländische und Dänische

Verlagspressetext

Pünktlich zum Schulbeginn erscheint eine vollständig überarbeitete und aktuell zum Thema digitale Medien erweiterte Neuauflage des Klassikers zur Suchtprävention (über 120.000 verkaufte Exemplare) von Dr. med. Eckhard Schiffer: „Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde – Anstiftung zur Lebensfreude von Kindern und Jugendlichen im kokreativen Zusammenspiel“. 

Huckleberry Finn brauchte keine besonderen Suchstoffe, denn ihn trug – insbesondere in seinem Freundeskreis – ein starkes Kohärenzgefühl. Das bedeutet, ein Gefühl von innerem Zusammenhalt zu haben, in sich selbst zu ruhen sowie auch von Freunden getragen und gehalten zu sein. 
Ein Erleben von Selbstwirksamkeit mit allen Sinnen und in Gemeinschaft ist seit Jahrzehnten schon grundlegend für eine erfolgreiche Therapie süchtiger oder suchtgefährdeter junger Menschen.

Das Buch gibt eine Menge von Anregungen zur Gestaltung des Lebensalltags wie auch besonderer pädagogischer Unternehmungen mit Kindern und Jugendlichen. Mit einer Orientierung an Lebensfreude in Selbstwirksamkeit mit allen Sinnen wird ganz nebenbei eine sehr gute Suchtprävention geleistet. Die Anregungen des langjährigen Leiters der psychosomatischen Klinik in Quakenbrück Dr. med. Eckhard Schiffer, in ständiger Beratung mit der Grundschullehrerin und seiner Ehefrau Heidrun, erfolgen auf einem umfassenden Hintergrundwissen in Bezug auf gesunde Entwicklung. Schon beim Lesen kommt Freude auf.

Bestellung

Schiffer, E.: "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde"
ISBN 978-3-949646-17-1
Jubiläumsausgabe 2023, 
220 Seiten, Euro 16,80
E-Book, Euro 13,00

Rezensionen

"Eine lebhafte Fantasie könnte ein sehr effektiver Schutz vor der Entwicklung von Suchtkrankheiten sein. Zu dieser Erkenntnis kommt Eckhard Schiffer, Autor des Bestsellers “Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde”.

Bei seiner jahrelangen Arbeit mit Suchtkranken stellte Schiffer fest, dass Öde und Langeweile Vorboten späterer Abhängigkeiten sein können. Viele Patienten würden Suchtmittel benutzen, um einer inneren Leere zu entkommen..."

- Gina Louisa Metzler

Kompletten Artikel lesen

Spielen und Lernen

Huckleberry Finn ist ein sozialer Problemfall. Die Mutter tauch nie auf, der Vater trinkt und wird schnell gewalttätig. Huck schwänzt die Schule, läuft immer wieder von Zuhause fort. Schlechte Voraussetzungen für ein bürgerliches Leben. Und gute, um in Abhängigkeit von Suchtmitteln zu geraten.
Heute würden viele Kinder in ähnlichen Lagen so reagieren. Warum ausgerechnet er nicht? Was hält ihn gesund? Und was hält uns und unsere Kinder gesund? Die Antwort von Prof. Eckhard Schiffer, psychoanalytisch orientierter Psychater und Chefarzt des Krankenhauses Quakenbrück, ist verblüffend einfach: Huck konnte spielen.

Seine Eltern hatten ihn nicht zu Klavierstunden angemeldet, seine Nachmittage waren nicht von Hausaufgaben, Nachhilfe und Training verplant. Und: Er stand nicht ständig unter pädagogischer Aufsicht. Er hatte ein anregendes Umfeld, Wald und Fluß; viele Möglichkeiten Selbstwirksamkeit zu erfahren - ein Floß zu bauen -; er konnte mit seinen Freunden abtauchen in Tagträume und zurückkehren in die Realität.

In anregenden Geschichten aus Therapie und Alltag erzählt Schiffer, wie mit Zugewandheit, Kreativität und einer gehörigen Dosis zweckfreien Spielens auch schwer belastete traumatisierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene den Weg in eine erfülltes Leben finden können. Für Eltern besonders hilfreich: Die Checkliste, was alles in einem Kinderzimmer sein sollte. Ein rundum gutes, schön erzähltes und kluges Buch, das Eltern endlich einmal nicht sagt, was sie tun sollen.

Von Ralf Ruhl

Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen

Was haben die Süchte der Kinder von heute mit Mark Twains Romanfigur Huckleberry Finn zu tun? Weshalb hat Fantasie und Spielen solch eine machtvolle Kraft in sich, dass Kinder, und somit spätere Erwachsene, weitaus weniger anfällig für eine der zahlreichen Abhängigkeiten werden? "Warum Huckelberry Finn nicht süchtig wurde", geschrieben von Eckhard Schiffer, mit Illustrationen von Patrick Wirbeleit, gibt auf eine sehr spezielle Art und Weise Antworten, Hinweise und Tipps, die es wahrlich in sich haben. Unsere uneingeschränkte Buchempfehlung nicht nur für Eltern, Lehrkräfte und Erzieher. 

Stark ist er, der Mensch, allerdings immer nur solange, wie der Grundstock in der Kindheit für ein Starksein gelegt wurde. Dass genau diese Basis immer mehr in ein Hintertreffen gerät und somit schon Kindern und Jugendlichen der Weg zu unterschiedlichen Süchten relativ einfach freigemacht wird, ist eine nicht zu verleugnende Tatsache. "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde" - Eine Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen von Eckhard Schiffer, ist ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Nein, süchtig wurde ich nicht von dem Lesen des selbigen, aber selbst mir als psychologisch nicht ganz unbedarfte Person, gab dieses Buch immer wieder neue Impulse und Denkanstöße.

Von dem Salutogenesekonzept (das Konzept der Gesundheitsentstehung), dem Pathogenesekonzept (das danach fragt, was krank macht) und dem Kohärenzgefühl (innerer Halt und sinnvoller Lebenszusammenhang) spricht der Autor gleichsam in einer verständlichen Weise, wie er auch die starren Linien der Kindergärten und Schulen in Frage stellt. Huckelberry Finn, der kleine große Held aus Marc Twains Klassiker, durchzieht auf eine immer wiederkehrende unaufdringliche Art das gesamte Buch und lässt durchaus einen engen Zusammenhang zwischen Kindern im 19. Jahrhundert und den heutigen Generationen vor dem geistigen Auge entstehen und verstehen.

Verstehen ist übrigens ein gutes Stichwort, denn gerade das wird beim Lesen des Buches mehr als einmal deutlich gefördert. Aber was versteht man nun wesentlich besser, wenn man den Gedankengängen von Schiffer folgt, die aus viel persönlichen therapeutischen und väterlichen Erfahrungen sprechen?

Zum Beispiel warum ein kleiner, aggressiver und sehr wilder Junge durch eine simple Gute-Nacht-Geschichte ruhiger wird, als durch immer wieder neue Geschenke. Oder was im Kleinkindalter familiäre Geschehnisse, mitsamt dem "Redeverbot nach außen", auszulösen vermag, wobei dadurch erst viele Jahre später, mithin im Jugend- und Erwachsenenalter, eine fast selbstzerstörerische Ader bei einem Menschen freigelegt werden kann. Magersucht-, Fresssucht, Spielsucht, Alkohol, Drogen oder Phobien der unterschiedlichsten Art, sind nur einige der kompensatorisch wirkenden Süchte, die sich dann ungehindert ihren Weg bahnen. Und ein Menschenleben, um nicht zusagen ein Kinderleben, fast bis zur eigenständigen Zerstörung treiben können.

Das Buch zeigt zudem auf, wie wichtig es ist, dass ein Kind unbefangen spielen kann, Eltern genau dieses Spielen auch mit Gemeinsamkeiten fördern sollten, weshalb eine Blautanne von einem Kind tatsächlich blau gemalt werden darf und wie stark sich der inzwischen alles umfassende Leistungsdruck aus Erwachsenenhand auf Kinder in einem negativen Sinne einwirkt. Abgerundet wird das äußerst aufschlussreiche Buch durch einige Fallbeispiele, Illustrationen, sowie mit kurzen Passagen von bekannten Schriftstellern, Poeten und Philosophen, die jedes neue Kapitel einleiten und bereits in demselben Moment zum Nachdenken anregen, sowie Tipps, wie man den kindlichen Süchten weitaus weniger Nährboden bieten kann.

Fazit: Das Buch "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde" - Eine Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen, ist bei Weitem nicht nur Eltern oder Lehrkräften und Erziehern sehr ans Herz zu legen. Mitdenken, nachdenken, verstehen und nicht einfach nur die Schublade öffnen, die die Aufschrift trägt "wer süchtig ist, ist einfach nur willenlos", wird durch dieses interessante und lehrreiche Buch aufs Beste gefördert. Und obwohl ich Bücher stets mit sehr kritischen Augen lese, gibt es bei dieser Lektüre aus meiner Sicht keinen Kritikpunkt, der einen davon abhalten sollte, dieses Buch zu lesen. Wobei eine Anmerkung sei mir an dieser Stelle zum Abschluss gestattet: Nach dem Lesen wird man sich selbst, und auch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, ebenso oft kritische Fragen stellen, als auch so manche gesellschaftliche Vorgehensweise mit gänzlich anderen Augen betrachten.

Link zum Artikel (zuletzt gesichtet am 9. Februar 2011)

Der Autor beschreibt die vielen Gesichter der Sucht, den inneren Zustand der Leere, der Spannung und des Unglücklichseins. Heute wird Leistung vielfach als manisches Mittel gegen die Angst eingesetzt/t. Schiffer beschreibt eindrücklich anhand einiger klinischer Fälle, wozu dieses Verhalten bei Erwachsenen geführt hat: er zeigt auch Störungen und Beschädigungen bei Kindern und Jugendlichen auf. Vor allem aber -und das macht dieses Buch so wertvoll - nennt er konkrete Möglichkeiten der Suchtvorbeugung. Zum Beispiel Geschichten. die die Vorstellungskraft anregen. eigene Bilder 711 entwickeln, die eigene Phantasie zu aktivieren und sein eigenes inneres Reich aufzubauen. Die sinnliche Wahrnehmung und das Spiel, durch das das Kind aktiv seine Sinne. seinen Verstand und seine Vorstellungskraft nach eigenen Regeln einsetzen kann. helfen ihm. Geborgenheit in der Welt zu finden und Autonomie zu erlangen.
Dieses Standardwerk leistet einen wertvollen Beitrag in der Suchtvorbeugung und -behandlung von Kindern.

Von Ursula Wieser

Gehen wir mit Schätzen aller Art ins neue Jahr?

Vom Genuß und von Ersatzbefriedigungen / Konsumwahn birgt für Kinder große Gefahren

Geschafft! Wieder einmal heil im neuen Jahr gelandet. Wie war das eigentlich diesmal an Weihnachten? Ist die Gratwanderung zwischen Freude, Spannung, Geschenken, Essen und familiären Kontakten so gelungen, daß ich mich nun gut gesättigt und bereichert durch Schätze aller Art ins neue Jahr bewegen kann? Was haben wir unseren Kindern wirklich geboten? Welche Idee von Weihnachten kam wirklich - also wirksam - bei ihnen an?

Feste gibt es in unserem Kulturkreis viele. Bei solchen Anlässen werden Kinder meist beschenkt. Das Problem besteht für manche Eltern in der kaum zu bändigenden Schenkwut der Verwandten. In der einen oder anderen Familie halten sich zuletzt nicht einmal mehr die Eltern zurück. Alle Jahre wieder kommt das Christkind, danach geht es schon schnell auf Ostern zu. Auch bei anderen Familienfesten fällt nicht wenig für die "lieben Kleinen" ab und bei ihren Geburtstagen, zur Erstkommunion und später zur Firmung beziehungsweise zur Konfirmation sowieso. Hinzu kommen Geschenke, die zum Beispiel schwierige Arztbesuche honorieren, Mitbringsel von Verwandten und Freunde bei Besuchen oder von Reisen.

Weihnachten ist unangefochten der jährliche Höhepunkt des ganzjährigen Konsumwahns in Form besonders vieler Geschenke an übersättigte Kinder und Erwachsene. Wertvoll wird oftmals gleichgesetzt mit teuer. Das fängt an bei der Festtagskleidung, geht über ein besonderes Menü, ein speziell ausgetüfteltes Fernsehprogramm bis hin zu Geschenken, die einander übertreffen. Viele. Erwachsene und Kinder erkennen vor lauter Vorbereitungs- und Einkaufsstreß den. wahren Sinn des Christfestes gar nicht mehr; die ursprüngliche Tradition solcher Familienfeste, das gemütliche Beisammensitzen, das Erleben von Gemeinschaft, Zeit füreinander zu haben, miteinander haben, miteinander zu singen und zu spielen, wird zur Nebensache. Sicher, zu einem Fest gehört auch ein gemeinsames Essen, doch das muß nicht opulent sein, damit eine gute Atmosphäre entsteht.

Wer im Deutschen Brockhaus das Stichwort "Konsum" nachschlägt, kann drei Seiten zu diesem Begriff nachlesen. Genannt seien hier nur die wichtigsten Aspekte: das Wort "Konsum" wird vom lateinischen Wort "consumere" abgeleitet, was in etwa "verbrauchen" und "verzehren" bedeutet. Mit "Konsum" wird ein Verbrauch von Sachgütern und Dienstleistungen zur menschlichen Befriedigung von Bedürfnissen beschrieben. Deshalb steht Konsum in unserer Gesellschaft in engem Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Einkommen oder mit Geldmitteln.

Kindlicher Konsum bewegt sich auf einer einfacheren Ebene. Er ist geprägt durch Vorbilder, Werbestrategien und dem Wunsch, bestimmte Gegenstände oder Gefühlszustände zu erreichen. Das Konsumverhalten von Kindern ist von außen beeinflußbar und steuerbar. Kinder und Jugendliche konsumieren auch, um "dazuzugehören" oder dem trendgemäßen Verheilten Gleichaltriger zu entsprechen. Dabei kann kindlicher Konsum ebenso eine Ersatzbefriedigung für nicht erfüllte psychische Bedürfnisse sein.

Wer gibt sich und unseren Kindern noch die Chance, übers Jahr starke Wünsche zu entwickeln, ein Gefühl des Wünschens nach etwas Bestimmtem, dessen Erfüllen ein ebenso tiefes Gefühl der Befriedigung und des Glücks erzeugt? Wer kennt ihn noch, diesen Spannungsbogen der Sehnsucht, der seine Zeit braucht, um sich dann zum Beispiel an Weihnachten oder am Geburtstag in einem großen Glücksgefühl zu vollenden? Wo sind wir angekommen, wenn selbst die materielle Ebene des Glücks kaum noch erreicht wird? Ich will an dieser Stelle noch nicht einmal fragen, warum wir dies tun, sondern lieber gleich, wie man denn wieder auf diese gesündere Ebene des Wünschens und Erfüllens gelangen kann.

Damit sich die Seele wohlfühlt, braucht sie Nahrung, genau wie der Körper. Die Nahrung der Seele sind Eindrücke, Erlebnisse, Erkenntnisse und natürlich Gefühle. Der Weg, über den ein Kind hauptsächlich seine Eindrücke von der Welt empfängt, ist das Spiel. Spielen und Lernen gehören zusammen. Spielen ist ein bewährtes und risikoarmes "Hausmittel" gegen Frust, Öde und Langeweile. Spielfreude ist also ein wichtiger Schutzfaktor gegen Suchtgefährdung. Kreatives Spielen, das die Entwicklung fördert, wird durch ein übergroßes Angebot an Spielsachen eher verhindert oder zumindest gebremst. Hier gilt das Motto: Weniger ist oft mehr. Kinder besitzen die erstaunliche Fähigkeit, aus vielerlei Rohmaterialien Spielsachen herzustellen und neue Spiele zu erfinden. Doch diese Fähigkeit verkümmert, wenn Kindern ständig etwas "Fertiges" (und sei es auch "pädagogisch wertvoll") vorgesetzt wird. Wer sich den Spaß an "Sport - Spiel - Spannung" bis ins Erwachsenenalter erhalten kann, bleibt nach den Erkenntnissen der modernen Verhaltensforschung menschlicher -und wahrscheinlich auch gesünder - als Menschen, für die nur der meßbare Erfolg als Resultat harter Arbeit zählt.

Sicherlich ist Ihnen Huckleberry Finn von den Erzählungen Mark Twains bekannt. Wissen Sie eigentlich, warum eben dieser Huckleberry Finn nicht süchtig wurde? Er konnte etwas mit der Welt anfangen. Fabelhaft: Schwimmen, tauchen, rudern, klettern, schnitzen, raufen, rennen, springen - er erfuhr seine Welt mit all seinen Sinnen und nach seinen Bedürfnissen. Er ging mit Spaß an die Welt heran. Auf diese Weise konnte er auch dann ohne Suchtmittel überleben, wenn er viele Dinge aushalten mußte, die ihm ganz u gar keine Freude bereiteten. mußte sich nicht in eine Sehe weit flüchten. Er hatte keine leere, öde innere Welt ohne lebendige Phantasie, sondern entfaltete seine schöpferischen Kral Deswegen mußten keine Suchtmittel herhalten, um diese innere Öde aufzubessern. Das innere Erleben war immer wieder ( Grund, auf die äußere Welt zugehen, diese auszuprobieren. Somit wurde die Welt mit allen Sinnen erfahren und so in ihrer scheinbaren Banalität zum Abenteuer.

Inspiriert von dem Kinderbuch "Frederick" von Leo Lionni liegt für mich das Glück und die Kunst darin, lustvoll zu überwintern in den kleinen Dingen. Es wird über die Maus Frederick berichtet, die, als der Winter naht, nicht wie alle Feldmäuse Tag und Nacht arbeitet und Körner und Nüsse, Weizen und Stroh sammelt. "Alle arbeiten - bis auf Frederick. Er sammelt Sonnenstrahlen, Farben und Wörter "das sind seine Vorräte für die kalten, grauen und langen Wintertage".

Nur wer im Leben innehält, das Wunder der Schöpfung in sich aufnimmt und als unlöschbar Erinnerung in sich Trägt, ist "mit Farbe im Herzen und Heiterkeit im Gemüt" auch bereit für Neues. Zweifellos birgt eine spezielle Gangart gegen den Strom der Zeit auch die Gefahr, wie die Maus Frederick belächelt oder gar mit Spott bedacht zu werden. Dennoch möchte ich einladen zu ein wenig mehr Aufsässigkeit, zum Abenteuer, zum Tagträumen - mit Rückfahrkarte zur Realität und ihren sogenannten Sachzwängen. Denn nur so ist es möglich, daß die Realität kein Betonklotz bleibt, sondern sich als veränderbar erweist.

Deshalb ein alter, aber bewährter Tip: Schenken wir uns und unseren Kindern gegenseitig Zeit. Ich halte es für sehr wichtig, daß nicht neue Superlative an die Stelle von Supergeschenken treten, sondern daß wir vielmehr ein Gefühl dafür entwickeln, welche Lebensräume uns und unseren Kindern verloren gegangen sind. So fehlen zum Beispiel Kindern eher Naturerfahrungen und Jugendlichen ein Hauch von Abenteuer. Wir können solche Lücken schließen. Statt etwas Fertiges zu kaufen, können wir unsere Kreativität entfalten und einander Zeit und Ideen schenken. Gemeinsame Erlebnisse, wie beispielsweise eine Woche mit den Großeltern auf einer Selbstversorgerhütte lassen sich liebevoll ausgestalten und sind später auch Erinnerungen von unschätzbarem Wert. Überhaupt sollten wir mehr Zeit in Gespräche und gemeinsame Aktivitäteninvestieren. Wer mit seinen Kindern durch Gespräche "in Kontankt" bleibt, kann sich sicher sein, auch in schwierigen Zeiten Zugang zu ihnen zu finden.

Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht nicht um Askese. Der Spaß am Neuen und daran, sich etwas zu gönnen, sind ein Genuß, und der gehört zum Leben unbedingt dazu. Mir geht es um Auswege aus dem "Konsumterror", um Vorbeugung gegen Konsumsucht, gegen eine Unersättlichkeit und den überhöhten Anspruch, gefühlsmäßigen "Hunger" durch den Erwerb von Sachen zu sättigen. Es geht darum, daß Probleme nicht durch Ersatzbefriedigungen "gelöst" werden ("Immer, wenn ich etwas Süßes esse, bin ich nicht mehr so traurig") oder scheinbare Lösungen herbeigeführt werden ("Wenn ich ein bißchen getrunken habe, sieht die Welt ganz anders aus, dann traue ich mich richtig").

Sie können eine Menge dafür tun, daß in Ihrer Familie das "Haben" nicht zum nervenzehrenden Dauerthema wird. Dazu nocheinige praktische Tips:

  • Überprüfen Sie Ihre eigenen Ansprüche und Ihr eigenes Konsumverhalten: Wo lassen Sie sich am ehesten von der Werbung verführen oder geraten unter "Kaufzwang"? Wann tätigen Sie "Frustkäufe"?
  • Überlegen Sie im Umgang mit Ihren Kindern, wann der Konsum zum Ersatz für etwas ganz anderes wird: Süßigkeiten statt Zuwendung? Abenteuerseriell statt wirklicher Abenteuer?
  • Gehen Sie Konflikten nicht dadurch aus dem Weg, daß Sie jeden Kinderwunsch von den Augen ablesen. Geben Sie nicht vorschnell nach. Bieten Sie nach Möglichkeit Alternativen zum schnellen Konsum an.

von Lisa Kaiser

Auf der Suche nach Abenteuern

Das Leben, in das unsere Kinder hineingeboren werden, ist berechenbar, planbar, geebnet. Abenteuer und spannende Erlebnisse finden in virtuellen Welten und auf dem Fernseh-Bildschirm statt. Die Kinder, hungrig nach Leben und gefühlten Erfahrungen, werden nicht satt. Ihre Sehnsucht braucht Nahrung.

Es war ja auch ein schönes, faules und lustiges Leben, so den ganzen Tag mit Rauchen und Fischen zu verbringen, weit entfernt von Büchern Schwierigkeiten... Meine Kleider waren bald verdreckt und zerlumpt, und ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich es bei der Witwe hatte ausholten können, wo ich mich waschen . mußte, nur vom Teller essen durfte und daran gewöhnt war, mich regelmäßig zu kämmen, zur Zeit ins Bett zu gehen und ebenso pünktlich wieder aufzustehen. (Mark Twain: "Tom Sawyer und Huckleberry Finn").

Was für ein Leben! Waren Tom Sawyer und Huckleberry Finn nicht Figuren, mit denen man sich als Kind gut zu identifizieren wußte?
Alle Versuche, Huck zu "retten", zu zivilisieren, schlagen fehl. Nicht nur, weil sein Vater da nicht mitmacht, sondern weil der ungestüme Junge gar keine Lust hat, sich auf die Langeweile eines geordneten Lebens einzulassen. Lieber bleibt er der Bürgerschreck, hält sich den Prügel-Vater - so gut es eben geht - auf Distanz und lebt sein Leben. Gegen die Norm. Mark Twains Held spielt allemal, trotz aller Widrigkeiten, sein Spiel, erlebt seine Abenteuer. Huckleberry zeigt Phantasie, Kreativität, handelt schöpferisch, erfindet seine eigenen Auswege, ist ein Re-3011. Der Junge ist noch nicht domestiziert, noch nicht eingeschworen auf die Ordnung der Erwachsenen.

Das Bemerkenswerte aber an der Kunstfigur Huck ist, daß er die in uns allen vorhandene Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Abenteuer auslebt - beides können die Kinder heute kaum noch erfahren.

Unsere Zivilisation hat einen Grad von Kontrolle und Enge erreicht, der für junge Menschen nur schwer zu ertragen ist. Alles ist vorgeschrieben: die Größe des eingezäunten Spielplatzes, der Takt der Schulstunden, die Öffnungszeiten des Jugendheims. Alles ist reglementiert: das Computerspiel, der Stadtpark ebenso wie die Verkehrsordnung. Eine Welt aus Beton und Vorschriften steht gegen lebendige Welt-Erfahrung. Und doch ist sie da bei den Kindern, die Sehnsucht nach Lebendigkeit. Diese Sehnsucht ist nicht greifbar, nur diffus spürbar, sie tut weh, drängt hilflos nach Erfüllung... und mutiert nicht selten zur Sucht. Zu kompensierender Sucht. Denn gerade Kompensation ist reichhaltig im Angebot. Immerhin leben wir in einer Warenkultur: "Kauf mich!", schreit es. "Trink mich! Rauch mich! Zieh mich an!" Oder auch: "Spritz mich! Schluck mich! "

Der Psychotherapeut Ekkehard Schiffer (Verfasser des Buches: "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde", Beltz-Verlag) ist in seiner Klinik mit den genannten Ursprüngen von Sucht konfrontiert: mit einer inneren Leere bei fugendlichen, die auch durch das reichste Warenangebot und den stärksten "Stoff" nicht gefüllt werden kann. Schiffer weiß sehr genau um die zunehmende Unfähigkeit der Kinder zu Ausdruck und Spiel. Seine Kritik wird im Gespräch eindeutig:
"Die Welt des Spielens wird immer mehr entsinnlicht. Die Kinder erleben eine eindimensionale Welt über den Gameboy, über das Videospiel. über den Fernsehschirm. Allenfalls der Sehsinn, der Hörsinn werden beansprucht und vielleicht noch ein wenig der haptische Sinn über die Computermaus, aber alles, was mit Riechen, Schmecken, mit Sensomotorik zu tun hat, alles also, was eine komplette Erfahrung ermöglicht, das wird im Spielen nicht mehr erfahren." Aber ohne ein lebendiges, alle Sinne beanspruchendes Spiel, meint Schiffer, werde die Phantasie schlaff: "Wenn ich den Begriff >Ball< denke und kenne den Ball nur vom Gameboy her, dann ist das ein schlaffes, fades Bild. Wenn ich aber mit dem Ball gebolzt, gesteilert, getobt habe, durch den Matsch gegangen bin, dann habe ich eine ganz andere innere Darstellungsweise dieses Begriffs, als wenn ich ihn nur eindimensional von der Mattscheibe her kenne. Und genau das ist das Entscheidende: Wenn die Phantasie nicht lebendig, vital ist, dann wird das Kind innerlich leer. Und dann braucht es Dröhnungen, um die innere Leere zu überwinden."

Für Ekkehard Schiffer ist es klar: Huckleberry Finn wäre nicht süchtig geworden. - Der wilde Junge spürte keine innere Leere, mußte nicht hilfsweise auf die neuesten Turnschuhe, das schärfste Baseball-Cap, das "coolste" Video abfahren oder die bunteste Pille schlucken.

Heute, im Zeitalter des bis ins Detail normierten Alltags, tut also Prävention not: Es gilt, dem Kind Freiheit, Raum zur Gestaltung der eigenen Phantasie zu geben, statt das Kind lediglich zu "verwalten". Es braucht deshalb mehr als das neueste Spielzeug aus dem Angebot. Denn auch das erfordert lediglich "pädagogisch wertvolle" Leistung, nicht aber Phantasie.

Aus den alten Brettern eine Hütte zimmern. Auf der Straße Hopse spielen. Kastanien sammeln, Figuren bauen. Durch Büsche streifen und die "Wildnis" entdecken... Wie wenig Gelegenheit ist noch dazu! Wie selten wird dazu animiert! Ekkehard Schiffer, der Huckleberry-Finn-Kundige, kann nur zynisch über die Tatsache lächeln, daß es mittlerweile so etwas wie "Erlebnispädagogik" und "Erlebnistherapie" geben muß, um verstörten Kindern wenigstens etwas Raum für die eigene Phantasie, für das Abenteuer zu schaffen. "Man muß sich nur die ursprüngliche Welt des kindlichen Spiels anschauen", sagt Schiffer. "Kinder kommen mit einem Holzklotz aus. Ein Besenstiel ist ein Steckenpferd, ein Schiff oder ein Schwert. Sparsame Mittel, durch sie wird die Phantasie lebendig. Je mehr Mittel ins Spiel gebracht werden, desto mehr wird die Phantasie erschlagen."

Mehr! Mehr!... Haben! Haben!. Darin liegt die Crux: Die gesellschaftliche Logik entwickelt beim Kind den Sinn des "Habens", nicht den Sinn für seine eigenen lebendigen Bedürfnisse. Denn Kauf-Lust und Kauf-Sucht sind Existenzbedingung der Warengesellschaft. Die Folge: das bekannte Elend psychischer Auffälligkeiten, über das Huck Finn nur gestaunt hätte. Der Junge suchte sich das zusammen, was er brauchte. Er fand es einfach: "Einen Becher, ein Hundehalsband, ein paar leere Medizinflaschen, ein Holzbein, an dem die Riemen fehlten."

Die Zeit der wilden, phantasievollen Kindheiten geht mit zunehmender Zivilisierung dem Ende zu: Gerade heute wäre Huck der Typ des verachteten Müßiggängers, er wäre der " Punk" in einer geschäftigen Welt, die ihre Kinder in der Sucht nach Konsum von Waren und Drogen gleichzumachen sucht. Doch kann dieses Ansinnen nie ganz gelingen. Denn sie wird sich trotzdem immer wieder bemerkbar machen, die Sehn-Sucht nach Lebendigkeit...

Von Detlef Berentzen

Münster. Huckleberry Finn war alles andere denn ein Musterknabe. Faul, verwahrlost und ohne Bleibe galt er eher als Bürgerschreck. Man könnte meinen, daß Huck Finn in seinem späteren Leben suchtgefährdet sei. Aber dem ist nicht so. Denn Huck Finn hat eine lebendige, innere Phantasie, weil er die Welt nach seinen Sinnen erlebt, erspielt und ausprobiert hat. Davon entfernt sich heute zusehends Kindsein in eine sich über Leistung definierende Gesellschaft. Zu früh bricht in die kindliche Erlebniswelt die Last des Leistungsdrucks ein. Anstelle von spielerischem Erleben, Phantasie und Träumereien treten ehrgeizige und eifrige Vorzeige-Aktivitäten, eng eingeschnürt im Korsett "Terminstreß".

Eckhard Schiffer, leitender Arzt der Abteilung für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik des christlichen Krankenhauses Quakenbrück, beschreibt in seinem Buch "Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde" einfühlsam Wege, die in die Sucht führen und zeigt Möglichkeiten der Suchtvorbeugung und Therapie auf. Den Leser erwartet Keine Konfrontation mit statistischem Zahlenwerk, sondern Geschichten aus dem Leben. Für jeden Laien menschlich nachvollziehbar. Eigene Betroffenheit und der Blick in den gesellschaftlichen Spiegel lassen dieses Buch zu dem werden, was es ist: Eine Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen. Mit Mut zur Phantasie und Wertschätzung des individuellen Eigensinns.

"Suchtproblematik gibtes wahrscheinlich schon seit Menschengedenken. Seit 200 Jahren wird Suchtverhalten erforscht," so Eckhard Schiffer gegenüber unserer Zeitung. Mit dem gesellschaftlichen Wandel, ändere sich auch das Bild der Sucht. Sucht habe viele Gesichter und ebenso viele Gründe.

Nachdenklich aber stimme, daß Suchtverhalten mehr und mehr im Kindes und Jugendalter Fuß fasse. Kindliche Eigenkreativität und schöpferisches Gestalten würden zusehends verkümmern, sagt der Präventionsexperte. "Zurück bleiben innere Leere, Ode und Monotonie." Alles Gefühle, die niemand sonderlich liebt, mit denen umzugehen nicht jedem gelingt.

Die enorme Leistungsanforderung an Kinder und Jugendliche, das Funktionieren müssen, das sich Definieren über Noten und Zahlen frei nach dem Motto "Nur wer leistet, ist wer", baue Spannungen auf, denen kein Ventil mehr zur Verfügung stehe. Und um eben diese Spannung "zuzuschütten", zu überdröhnen, sei der Griff nach Suchtmitteln nicht selten.

Sucht "made in Germany" erweise sich zunehmend als ein Problem. Auf solch ein Qualitätssiegel könne freilich niemand stolz sein. Zeitmanagement und Leistungshierarchie im Kindes- und Jugendalter seien Gift für schöpferisches Handeln und Kreativität. Diese Sichtweise setze sich mehr und mehr durch.

Grund genug, gegenzusteuern, denn Sucht kann eine Konsequenz sein. Huckleberry Finn indes braucht sich vor Sucht nicht zu fürchten. Denn dank seines Eigensinns und seiner lebendigen Phantasie ist er quasi immun gegen süchtiges Verhalten.

Von Birgit Klostermann

Fragen Sie Huckleberry Finn!

Als eine "Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen" bezeichnet der Autor sein Buch im Untertitel. Das ist vielleicht ein ganz kleiner psychologischer Trick, wird mit dem Wort doch im allgemeinen etwas negativ Angestiftetes, wie etwa Brandstiftung, assoziiert. Der schöne Sinn von "Stifter" ist in dem Bedeutungswandel fast ganz untergegangen. Der Autor rechnet womöglich mit der Neugier auf eventuell böse Anstiftung, um sein Buch an den Leser zu bringen. Ein Verkaufstrick ist das nur bedingt. Im Anstifter spricht ein Stifter von Erfahrungen und in vieljähriger Praxis erworbenen Kenntnissen im Umgang mit Süchten und Suchtgefährdeten. In einem Brevier von fünfzehn Kapiteln stellt er wesentliche individuelle und sozial bedingte Zusammenhänge dar, die Suchtverhalten bewirken können.
Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde, beantwortet Schiffer gleich im ersten Kapitel, und er kommt ab und an, wenn er komplizierte Fälle von Suchtverhalten analysiert, darauf zurück.
Frage und Antwort sind zwar ein wenig spekulativ, denn es ließe sich sehr einfach sagen, der Schriftsteller Mark Twain habe eben anderes mit ihm vorgehabt, aber Autor Schiffer will mit der Figur des Jungen aus den weltbekannten Romanen des Amerikaners eine Hauptthese vorbeugender Suchtbekämpfung sinnfällig machen. Huck Finn, der Freund Tom Sawyers, mehr Kind noch als Halbwüchsiger, aus asozialen Verhältnissen stammend, ohne Zuhause, ist der Ärmsten einer. Diese widrigen Lebensumstände bergen in sich die Möglichkeit zu nahezu uneingeschränkt selbstbestimmtem Verhalten. Das macht die literarische Figur für den Psychologen zum Träger seiner Botschaft. Huck Finn in seiner Ungebundenheit kann ungehindert seine schöpferischen Kräfte entfalten. Öde und Langeweile zum einen, Zwänge zum anderen, sind, so Schiffer, die Vorstadien der Sucht. Er appelliert an die Leser, die Welt der Kinder so zu gestalten, daß sich Zerstörung der Innen- und Außenwelt nicht in jeder Generation wiederholt, er lädt ein zum Tagträumen, zu Aufsässigkeit und Abenteurertum.
Diesem Appell folgt logisch die Auseinandersetzung mit der sozialen Welt und den in ihr geltenden Normen und mit Entwicklungstendenzen, die Suchtgefährdungen in sich tragen.
Die Krankengeschichten seiner erwachsenen Patienten bilden gleichsam das Gegenstück zu Huckleberry Finns Lebenslust. Sie stehen exemplarisch für Defizite und Überforderungen, die krank machen.
Schiffer lenkt die Aufmerksamkeit auf solche Zusammenhänge, die von jedem zu beeinflussen wären. Voraussetzung ist, daß man zu kritischer und selbstkritischer Beobachtung der Lebensumstände in der Lage und bereit ist, sich psychisch deformierenden Tendenzen zu widersetzen. Mit den Krankengeschichten klärt er über vermeidbare Versäumnisse auf. So legt er mit großer Dringlichkeit und beweiskräftig nahe, wie wichtig es ist, Kindern spontanes, zweckfreies Spielen zu ermöglichen. Den Wert solchen Spiels sieht er in der Entfaltung der Sinnestätigkeit einschließlich der Bewegungssinne, in der Ausbildung von Phantasie, dem Gewinn lustvoller Welterfahrung. Solche Ausübung von Kreativität bestärkt die kindliche Persönlichkeit, wie die Persönlichkeit überhaupt, in ihren eigengestalterischen Lebensaktivitäten. Er schlägt vor, alle künstlerischen Betätigungen im Schulunterricht - Musik, Malen, Gestalten - vom Druck der Zensurierung, also der Leistungsverpflichtung, zu befreien. Videos, Computerspiele, Fernsehen, elektronisches Spielzeug legen Phantasie lahm. Die eigene Bilderwelt wird überflutet von Fremdbildern, Lesen wird langweilig. "Die innere Landschaft gleicht einer Wüste oder besser noch einer Betonpiste", schreibt er. Aus dieser inneren Leere erwachse das Bedürfnis nach Reizen von außen, entsteht Sucht. In diesen Zusammenhang ordnet er auch das unkontrollierte Fernsehen, Kaufrausch und ein pathologisches Leistungsideal ein. Er unterzieht das Leistungsideal, das Eltern und Schule aus der gesellschaftlichen Norm ableiten und ihren Kindern zumuten, differenzierter Betrachtung. Ohne hohe Leistungsforderung in Gänze zu kritisieren, macht er auf eine Art von Mißbräuchlertum aufmerksam, in dem sich individuelle und gesellschaftliche Deformationen spiegeln. Er wertet es als Mechanismus zur Angstabwehr, der für die Entstehung von Süchten wesentlich ist. Von der unbeschönigten Schilderung der Situation an den Schulen, des desinteressierten, ja feindseligen Verhältnisses zwischen Schülern und Lehrern, in dem die Frustrationen eskalieren, leitet er über zu möglichen therapeutischen Maßnahmen für Lehrer und praktischen schulreformerischen Vorschlägen.
Schiffers Erörterung der Erscheinungen ist in hohem Maße konstruktiv. Schon, wie er sein Wissen und seine Kritik dem Lesepublikum anbietet, das wissenschaftliche Niveau wahrend und populär in der Darlegung, spricht für den Wunsch, den Leser seinem therapeutischen Anliegen tatkräftig zu verbinden. Außerdem ist das Buch dank der leichten Hand, mit der der Autor theoretisch schwer beladene Phänomene aphoristisch verkürzt, eine anregende, sogar fesselnde Lektüre. Immer wieder überbietet er das Gesagte noch mit einem überraschend neuen Gedanken, der seinerseits themenbildend sein könnte. Das Kapitel "Vom gesunden Eigen-Sinn" führt er zu einer solchen Pointe. Der unverschämte Eigensinn, so schreibt er, könne auch den Eigensinn anderer gelten lassen. "Aber genau das wäre Toleranz, das heißt der Modus einer herrschaftsfreien Beziehung ..." In einem Anhang erklärt er Begriffe seiner Wissenschaft in ihrer Vieldimensionalität. Das gibt dem Leser ein bescheidenes Instrumentarium an die Hand, zum einen zur Auseinandersetzung mit dem hier Gesagten geeignet, zum anderen, um sich andernorts leichter zurechtzufinden.

Von Elise Liebscher

Das Twain-Modell

Ein Buch für Eltern, deren Kinder sich noch nicht oder noch im Gefahrenbereich befinden. Und für Erzieher. Und vielleicht doch auch für Halbwüchsige. die schon ein bisschen lesen gelernt haben. Die hier bedachte Form einer Suchtprophylaxe ist literarischen Ursprungs. Mark Twains Huckleberry Finn war ein Faulpelz, verwahrlost, ein Herumtreiber, sein Vater war Alkoholiker. Weshalb kam Huck nicht unter die Räder? Der Psychoanalytiker Eckhard Schiffer hat eine Theorie, die so einleuchtend ist, dass wir sie alle schon zu kennen glauben. Er fordert für Kinder und Jugendliche Freiräume ohne krankmachende Normen, Regeln und Anpassungsdruck, in denen die Phantasiekräfte sich zu entfalten. Gemütskräfte sich zu entwickeln vermögen. Es ist. sozusagen, das Plädoyer für den verwahrlosten Hinterhausgarten gegen den schick herausgeputzten Rasen samt Betreten verboten. Lerngewinne aus abgeschlossenen Fallgeschichten erhärten die Forderungen nach Abwehr der öffentlichen Zeit- und Phantasietotschläger. Der Autor wird ganz schön massiv bei der Benennung der Suchtursachen und ganz schön praktisch mit Vorschlägen zu ihrer Bekämpfung - bis zur Einrichtung eines Kinderzimmers.

Wer das Prinzip begriffen hat, hat schon beinahe alles begriffen. Im Grunde ist es ganz einfach. Der Rest ist Hilfestellung. Man muss sie nur zulassen. Ein auszuzeichnendes Buch.

Referate

Warum Huckleberry Finn kein Ritalin brauchte

Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde

Selbstwertgefühl und Lebenskompetenz aus den spielerisch-dialogischen Intermediärräumen

An einem sommerlichen Montagmorgen stehen Sie - nicht alkoholisiert - an einer Bushaltestelle. Sie aktivieren Ihr Dopamin-Belohnungssystem, indem Sie nicht den MP3-Player einschalten, sondern laut und freudig singen: "Geh aus mein Herz ..." Neben den diagnostischen Erwägungen seitens der Mitwartenden werden Sie vermutlich auch noch ein allgemeines Peinlichkeitsgefühl auslösen. Anders hingegen die Reaktion noch im Grundschulunterricht meiner Frau, in dem diese gerade ein neues Lied einübt. Die kleine Sonja meldet sich: "Das Lied kenne ich schon aus dem Kindergarten. Soll ich es mal vorsingen?" " Oh ja, gern!" Die anderen Kinder hören aufmerksam und anerkennend zu. Keine hämische Bemerkung, niemand lacht.
Ein stabiles Selbstwertgefühl und eine sichere Identität - Identität als Antwort auf die Frage: "Wer bin ich?" - entfalten sich in den Intermediärräumen des Spielens und des Dialoges (Winnicott 1979, Bohleber 1999), also da, wo man uns wahrnimmt, wenn wir etwas erzählen oder wir uns spielerisch-schöpferisch entfalten, dabei die Welt und uns darin erfahren und erproben. Aus der Säuglingsforschung wissen wir dazu, "dass nicht nur Trieb- und Körperlust, sondern auch Entdeckerlust und das Gefühl, in der Außenwelt sinnvolle Zusammenhänge bewirken und erkennen zu können, zentrale Motivatoren von Lebensbeginn an sind" (Dornes 1993).

Indem Kinder sich in den spielerisch-dialogischen Intermediärräumen entfalten, sind sie allerdings auch besonders verwundbar, wenn sie dabei be- und entwertet oder ignoriert und damit gleichfalls entwertet werden. Leider passiert das viel zu oft. Zum Beispiel dem Kind, das seine emotional-bedeutsame "Geschichte vom Tage" erzählen will und auf mediengefesselte Erwachsene trifft, die dem Bericht kein Gehör schenken; dem Kind, das ein Bild zeigt und hört "so sieht ein Pferd aber nicht aus" oder ein Lied singt und einen abweisenden Gesichtsausdruck registriert, weil das spontane Singen ohrenscheinlich peinlicher als eine sexuelle Bemerkung erlebt wird. Umgekehrt und salutogenetisch formuliert: Je mehr und je freier sich Kinder in den spielerisch-dialogischen Intermediärräumen entfalten können, desto sicherer, eigensinniger und weniger leicht beschämbar werden sie.

Es ist hierfür kein inflationäres Lob des Produktes notwendig. Vielmehr reicht es, wenn beispielsweise die Eltern oder die Peer Group das schöpferische Handeln selbst, seinen Prozess, wahrnehmend gelegentlich sinngemäß sagen: "Schön, dass du so gerne malst" und die Bilder nicht nur flüchtig, sondern aufmerksam betrachten. Denn ein Bild ist das Kind - ebenso das Lied, der Purzelbaum, der Aufsatz, das Hüpfen, Tanzen, Turnen, Klettern, Basteln, Erzählen. Kinder sind bis in die Pubertät mit ihren kreativen Darstellungen - die sowohl den schöpferischen Prozess als auch das Produkt mit einschließen - identifiziert.

Darin liegt zugleich die salutogenetische Chance: Wohlwollend wahrgenommene schöpferische Aktivität fördert ein starkes Kohärenz- und Selbstwertgefühl verbunden mit einer sicheren Identität. Rauschmittel mit ihrer Beschämungslöslichkeit - siehe Eingangszitat - sind dann nicht mehr zwingend notwendig.

Je mehr nun Kinder spielend mit allen Sinnen die Welt erproben und erfahren, je mehr affektusensomotorische Erfahrungen sie also dabei machen, desto besser werden die neuronalen Verknüpfungen als neurobiologische Grundlage von Kompetenzentfaltung organisiert. Aber nicht nur das: Diese leibhaftige, affektusensomotorische Welterfahrung aus dem Spielen heraus kann sich als - verinnerlichte - Szene mit allen Sinnesqualitäten über ein inneres Bild darstellen (Soldt 2006). Die Lebendigkeit unseres Denkens speist sich aus diesen Bildern, die unsere vormaligen Sinneserfahrungen in jeweiligen Kontexten aktuell vergegenwärtigen. Indem dialogisch diese inneren Bilder mit Begriffen verknüpft werden, entsteht eine lebendige Fantasie. Diese ermöglicht ihrerseits ein reiches Innenleben, das keiner ständig neuen äußeren Reize und Sensationen bedarf, um etwas zu erleben. Fantasie lässt zaubern! Ein solches Spielen vermittelt darüber hinaus das Erleben von Autonomie und Identität. Gleichzeitig werden die Kompetenzen des Kindes auf Grund der zunehmenden Anforderungsstrukturen in den Spielsituationen gefördert. Schon vor Jahrzehnten beschrieb der Schweizer Psychologe und Pädagoge Hans Zulliger, wie schwerkranke und gestörte Kinder gesund wurden, "bloß indem sie spielten".

Darüber hinaus bedeutet ein solches Spielen in der Gruppe mit ihrer Haltefunktion auch dann noch Freude am Spielen haben zu können, wenn ich dabei desillusioniert werde, das heißt erlebe, dass die anderen schneller laufen oder schwimmen, besser klettern, gewandter mit dem Ball umgehen oder sich besser ausdrücken können. Die intrinsisch begründete Lust auf Welt (s. Dornes) bleibt innerhalb solcher Spielerfahrungen trotz Enttäuschungen erhalten. Ich bedarf dann nicht zwingend der Suchtmittel und -handlungen, um Enttäuschungen zu verkraften oder um "kicks" zu erleben.

In einer Untersuchung zum Therapieverlauf bei Magersucht weist Deter (1989) darauf hin, dass gesundete frühere Anorexiepatienten im Unterschied zur Krankheitsphase eine intensive Vorliebe für das Spielen zeigen konnten. Leider wird das freie und spontane Spielen "auf der Straße" immer mehr verdrängt. Jüngere Kinder finden kaum noch Räume, um so spontan wie beispielsweise Huckleberry Finn mit ihrer Peer Group spielen zu können. Oder die Kinder verpassen sich selber Stubenarrest, werden von den Medien - Fernseher, Spielkonsole, Computer - auf ihren Stühlen gefesselt.

Hier sind Eltern, Erzieher und Erzieherinnen sowie Lehrkräfte präventiv gefordert, die virtuellen Räume zumindest vorübergehend zu verschließen und salutogenetische Intermediärräume eröffnen zu helfen. Konkrete Empfehlungen gibt es hierzu auf dem kostenlosen Plakat des Beltz-Verlages: "Nehmen Sie sich Zeit ...", (2005).

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist das Leitthema der 16. Niedersächsischen Suchtkonferenz (2004): "Paradigmenwechsel in der Sucht - nicht: Was macht uns krank, sondern: Was hält uns gesund".

Literaturverzeichnis

  • Bohleber, W. (1992): Identität und Selbst. Psyche - Z Psychoanal, 46, 336 - 365.
  • Bohleber, W. (1999): Psychoanalyse, Adoleszenz und das Problem der Identität. Psyche - Z Psychoanal, 53, 507 - 529.
  • Deter, H.-C. u. a. (1989): Differenzierung der Langzeitwirkungen einer stationären psychosomatischen Therapie von Anorexia-nervosa-Patienten. Zsch. Psychosom. Med. 35, 68 - 91.
  • Dornes, M. (1993): Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt/M.: Fischer.
  • Schiffer, E. (1993/1997): Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde. Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen. Weinheim und Basel: Beltz.
  • Schiffer, E. (2001): Wie Gesundheit entsteht. Salutogenese: Schatzsuche statt Fehlerfahndung. Weinheim und Basel: Beltz.
  • Schiffer, E. (2004): Prävention und Salutogenese. In: Berichte zur Suchtkrankenhilfe aus dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit: Paradigmenwechsel in der Sucht - nicht: was macht uns krank, sondern: was hält uns gesund. XVI. Niedersächsische Suchtkonferenz am 9. September 2004.
  • Schiffer, E. & Schiffer, H. (2004): LernGesundheit. Lebensfreude und Lernfreude in der Schule und anderswo. Weinheim und Basel: Beltz.
  • Soldt, P. (2006): Bildliches Denken. Zum Verhältnis von Anschauung, Bewusstsein und Unbewusstem. Psyche - Z Psychoanal 60, 2006, 543 - 572.
  • Winnicott, W. D. (1979): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta. Zulliger, H. (1979): Heilende Kräfte im kindlichen Spiel. Frankfurt/M.: Fischer.