Dialog hält gesund
Briefe für Paare
Ausgabe 18, Sommer 2011
Erzdiözese Freiburg
"Sie erinnern sich?
Sich wohlig räkelnd im Bett liegen, aller Pflichten ledig einschließlich der Hausaufgaben. Von Mutter umsorgt. Zwieback (na ja!), Lindenblütentee mit Honig und zusätzlich etwas vorgelesen bekommen. Ganz schön gemütlich so eine Grippe. Oder anders ausgedrückt: viele gesunde Kräfte in uns und um uns herum, die uns sicher sein lassen, der Krankheit nicht allein und hilflos ausgeliefert zu sein" (S.13).
Das Zitat stammt aus dem lesenswerten Buch "Wie Gesundheit entsteht" des Arztes und Therapeuten Eckhard Schiffer (siehe unsere Buchempfehlung. Die Seitenzahlen sind diesem Buch entnommen). Eckhard Schiffer beschäftigt sich dem Konzept der Salutogenese, das der israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky entwickelt hat. Dieser befasste sich ausführlich mit Kräften, die unabhängig von Tabletten als "Hilfsquellen" der Gesundheit dienen: die liebevolle Fürsorge, die Geborgenheit, das Vorlesen, die Beweglichkeit der Fantasie und unterscheidet sie von den krankmachenden Faktoren. Der Medizin wirft er vor, dass sie sich bloß daran orientiert, wie die krankmachenden Faktoren bekämpft werden können. Sie interessieren sich nicht für die Kräfte, die gesundheitsfördernd sind. Diese gehören im Grunde zum intuitiven Wissen der meisten Mütter (zunehmend vielleicht auch der Väter): Es ist für den Gesundheitsprozess wichtig, sich umsorgt zu wissen, sich nicht allein zu fühlen und etwas vorgelesen zu bekommen. Antanovsky spricht von Salutogenese - Gesundheitsentstehung und belegt eindrücklich, wie sehr diese Kräfte Ressourcen darstellen, die einen Menschen - gleich ob Kind oder Erwachsener gesund erhalten oder gesund werden lassen.
Diese inneren Resourcen helfen, Krisen zu bestehen und das Leben mit seinen Herausforderungen besser zu meistern. Wer diese inneren Kräfte wahrnehmen kann, erlernt für sein ganzes Leben eine Grundstimmung und Grundsicherheit, die das Gefühl gibt, innerlich zusammengehalten zu werden, "nicht zu zerbrechen und gleichzeitig auch in äußeren Anbindungen Unterstützung und Halt zu finden" (S.29). Antanovsky spricht vom Kohärenzgefühl, also dem guten Gefühl, Halt zu haben, weil meine Welt stimmig und geordnet ist. Ein wahres Wohlgefühl, das gleichbedeutent ist mit Gesundheit.
Zu den äußeren Faktoren, die dieses Gefühl unterstützen, zählt Antanovsky den Dialog, den "Zwischenraum im Gespräch" (S.43) zweier (oder mehrerer) Menschen, die sich nahe sind. Dieser wesentliche Dialog ist prägend für das Selbstgefühl eines Menschen. Es "gilt, dass der Dialog mit Menschen, denen ich mich verbunden oder durch die ich mich als Person anerkannt fühle, gesund hält" (26/27). Man sieht diesen Raum nicht, aber es kann viel darin passieren. Im Dialograum, dem Zwischenraum, der mich mit meinem Dialogpartner verbindet, treffe ich zunächst mit meiner inneren Realität auf die äußerer Realität meines Gegenübers. Im Gespräch erfahre ich dann auch etwas über die innere Welt meines Dialogpartners, was meine innere Welt erweitern kann. Und umgekehrt. Wir können uns im Gespräch - wie im spielerisch schöpferische Gestalten - vertiefen, `verlieren`, gehen dabei jedoch nicht unserer Identität verlustig. Im Gegenteil (82).
Schiffer, E.: "Wie Gesundheit entsteht"
2001 Beltz Verlag, Weinheim.Basel
254 Seiten, Euro 13
ISBN 3-407-22090-1